1. über töne
2. über den tod

 

abhandlung über tonartgefüge und parallelen im omphalos-verlust der moderne
oder: musica kopernika.

das ganze wunder der abendländischen musik besteht ja darin, andere zentren als das eine wahre vom gott oder dem meister festeglegten zentrum temporär zu ermöglichen; auf einverständnis basierendes natürlich, auf zwang ebenso, anfangs zumindest, wie überall auch, wir wollen hier gar nicht erst das märchen von der europäischen aber egal.

was passiert in der abendländischen musik: akkorde natürlich. und zwar nicht nur irgendwelche töne gleichzeitig, sondern wechselnde akkordstrukturen mit – und jetzt aufpassen, mitschreiben – welchselnden grundtönen. was ist ein grundton? der unterste ton des akkordes, unten im sinne von tiefster frequenz, und dieser grundton darf sich temporär ändern; wann ist ein grundton ein grundton: sobald die illusion erzeugt wird (fuck definitionen, das kann immer nur annäherungs- und nie wirklich abgrenzungsweise bestimmt werden) sobald also die illusion erzeugt wird, wir hätten mit der neuen akkordstruktur einen temporär neuen grundton; das ist noch keine modulation; aber es ist ihre vorstufe; natürlich muss man philosophisch sagen, dass es nur einen graduellen unterschied zwischen tonstufen mit ihren akkorden und einer modulation gibt. modulation ist einfach die verfestigung eines neuen tonartgefühls /-gefüges, und wird herbeigeführt durch mannigfaltige techniken, vor allem aber durch den simplen umstand, dass man lange auf einem neuen grundton verweilt (komplexer: dass man lange auf einem neuen grundton und anderen, ihn assoziierenden grundtönen und ihren harmonischen strukturen verweilt). eine tonstufe samt akkord ist also ein zwischending zwischen grundakkord auf dem grundtonartsgrundton und einer modulation. schoenberg, der gute, hat ja richtigerweise behauptet, es gäbe eigentlich keine modulationen oder besser: da alles in bezug auf eine erste tonart geschieht, kann jede modulation als ein weg irgendwohin bezeichnet werden und damit ist die modulation auf die zweite stufe dorischerweise eben etwas ganz anderes (und im übrigen etwas genau beschreibbares) als eine modulation auf die sechs, wo doch dem ungeübten ohr beide sehr ähnlich klingen, da sie mollig sind, und wie eine neue tonart klingen; aber eben nur dem ungübten. so. also die tonstufe als zwischenphänomen der modulation, die ihrerseits wiederum nur ein längeres und deutlicheres verweilen auf einer neueren tonstufe ist. die moderne als phänomen des zentrumsverlusts, des omphalos-verlustes wie der grieche sagen würde; der nabel-abnabelung. genau dies geschieht in der moderne (und selbstverstänlich in der allseits beliebten postmoderne in radikalisierter form) mit der musik. wir können da gerne auf atonalität und dann auf serialität im sinne einer dezentralisiert-kommunistischen fixierung des omphalos und so weiter, aber kommen wir doch lieber noch einmal zur subdominante:

ok, wir sind also auf der vierten stufe, die subdominante, und früher bedeutete das einfach nur den ton, (alter witz: ton f) wir meinen heute damit aber vor allem den akkord, sagen wir: f-dur, und das ist jetzt überhaupt mal die krasse scheiße, dass man auf der vierten stufe jetzt drei stimmen übereinander setzen kann: f a c, und dann klingt das wie eine zwischenstufe, ein zwischenhalt, ein neues kleines zentrum. man könnte auch sagen: erhöhte komplexität: immer mehr zentren einfügen, nicht aber im sinne einer anything goes- postmoderne mit unenedlicher gleichberechtigung: denn die hierarchie der töne wird gerade beibehalten. mehr komplexität und gleichzeitig hierarchie, das klingt jetzt manchem suspekt oder faschistisch oder so, aber das ist es nicht, denn die hierarchie ist in der musik gerade nicht mit moralischen kategorien verknüpft. und dies spiel nun kann ich mit jeder stufe betreiben: mit allen sieben der durtonart, und mit den fehlenden, dazwischenliegenden fünf ebenso; und so schicke ich die töne auf eine reise der beziehungen, ein ineinanderfließen der zwischenzentren. bis natürlich am ende die grundtonart erreicht wird. (anm: es gibt natürlich immer auch die ironische negation von alledem, vielleicht ist es gerade diese, die fortentwicklung ermöglicht: der trugschluss als das treibende moment der musikentwicklung; ein spiel mit den erwartungen, und wenn lange genug mit dem trug geschlossen wird, ist der trug der neue trog, in den ich einfließen will, getragen werden will, doch dann muss man mich per trick wieder heraustrahieren und einen neuen akkord finden, den ich nicht erwartet habe).

ist nun aber dieser letzte akkord nicht das alte ptolemäische zentrum? nennen wir es ein kopernikanisches: ptolemäisch wäre die erde, der eine grundton, der planet, den das absolute als absoluten ort seiner schöpfung privilegiert hat; die kopernikanische sonnenzentralität von, sagen wir, c-dur, ist keine echte absolutheit mehr: wir wissen mit der behauptung, die sonne gehe nicht mehr auf, sondern die erde drehe sich vielmehr um die sonne und erzeuge damit den eindruck des sonnenaufgangs, als philosophisch geschulte menschen ja, dass es eben gerade nicht die sonne ist, um die sich die erde wirklich dreht; wer das denkt, hat den kopernikanischen paradigmenwechsel nämlich nicht verstanden: man sagt nur, die erde drehe sich um die sonne, weil es so eleganter ist. man könnte auch alle planetenbahnen beschreiben als bewegung um die erde oder von mir aus um den saturnmond titan. dann wären das aber keine netten ellipsen mehr, sondern ein ziemlich verrücktes gekritzel. und daher ist die kopernikanische beschreibung von c-dur (der sonne) als zentrum eine pragmatische, und keine absolute mehr. (ein interessanter punkt hierzu wäre, dass kopernikus in seiner zentralisierung der sonne höchstwahrscheinlich ptolemäisch-absolut gedacht hat, und man eigentlich einen jüngeren namen finden müsste statt kopernikus, jedoch habe ich erstens gerade keine lust, die astronomiemetapher noch weiter überzustrapazieren und zweitens ist es ja gerade das nichtvorhandensein einzelner fixpunkte, was die pragmatische ent-nabelung unterstreicht). was also haben wir gelernt: akkorde sind cool und außerdem habe ich gerade keine lust weiterzudenken.

schopenhauersche anti-teilchen

mit dem tode gehn wir nicht nur ins nichts, wir gehen viel mehr auch in dasselbe nichts, welchem wir bei unsrer geburt entsprangen. daher sollte gewiss sein, dass wir nach dem tod sicherlich keine erinnerung mehr an den kurzen augenblick unserer bewusstseins-zeit haben können. schon allein aus der tatsache, dass gedächtnis aus proteinen gemacht und somit physikalisch ist, sollte dies ersichtlich sein. soviel nur zu den gängigen romantisierenden vorstellungen vom sogenannten leben nach dem tode. nun aber der einwand: warum überhaupt darüber nachdenken, was man nach dem tode erinnere? da dort und dann doch nur nichts ist, und ansonsten nichts!? nein, vielleicht verhält es sich, nach einem gedanken, welcher mir in anlehnung an schopenhauer kam, folgendermaßen: gerade weil die spanne vor dem tode derer nach dem tode gleicht, und weil es somit plausibler ist, vom bewusstsein als einer subjektiven unterbrechung des objektiven nichts zu sprechen als umgekehrt; weil außerdem „nichts“ nach quantenfeld-theorien auch heißen könnte: die möglichkeit von allem; darum könnte man vielleicht von der zeitspanne vor und nach dem bewusstsein als dem „anti-bewusstsein“ sprechen und diesem, gleich den sogenannten anti-teilchen nicht etwa negierte sondern gegenteilige, spiegelnde eigenschaften des bewusstseins zusprechen. damit wäre der tod ein wahres gegenteil des lebens und nicht etwa sein nichtbestehen; alles wäre genau umgekehrt wie im leben; das bewusstsein wäre dann nicht der aufflackernden flamme, sondern dem wimpernschlag des auges gleich, in dessen zeitraum wir gerade nicht wirklich sehen; genauer: wir sehen sehr wohl etwas, und zwar das lid, den körper, von innen, schwarz, und mit dieser blindheit für das wesentliche geschlagen, werden wir in die lage versetzt gegenstände zu erblicken, für die wir sonst blind wären: das flackern, die glaskörperflocken, und vor allem natürlich die traumbilder und inneren vorstellungen. diese vorstellungen werden wir nach dem tode nicht mehr haben können, weil wir ja keine subjektivität mehr besitzen werden. stattdessen aber sehen wir alles das, was wir sonst nicht sehen.
im anti-bewusstsein sehen wir also alles außer der subjektivität, der ersten-person-perspektive, wobei sehen vermutlich nicht mehr der richtige begriff davon ist. wir sind nur noch wille, wie freund arthur vielleicht sagen würde, und gehen ganz in ihm auf.