Beginn eines dadaistischen Romans. (Die Pronomen sind optional)

Die Frage nach der Welt beschäftigt mich; um die Antwort gleich vorneweg zu geben (man muss derlei Antworten auf letzte Fragen bekanntlich im Brustton der Überzeugung äußern, weil ein halbgares Hinundherschieben von bereits Bekanntem keinerlei stimulierenden Mehrwert bereitstellt. Man muss frei heraus reden und dabei die ein oder andere Niederlage riskieren. Was wäre denn die Alternative dazu? Sich gegen Irrtümer immun zu machen, indem man nur lasche Schlabbergedanken zu Papier bringt? Wenn wir als aufgeklärte Bürger nicht wenigstens diese eine Sache gelernt haben, na dann gute Nacht! — Guten Tag!, ruft dagegen der Sohn des Lichtes, setzt sich der Ungewissheit aus als ein Fels, den die Aerodynamik einer feindlichen Welt wie Sternschrapnellen umspült. Im glühenden Staub eines ephemeren Kontingenzgestürms leuchtet er als Beispiel eines Helden in der Zeit der Ungewissheit. Uns gewiss ist nur sein Name, nämlich Adelheid Verstappen, Wesen eines anderen Sterns und doch ein Mensch, ein echter Philosoph. Sie saß nun eines Tages an der Theke einer Szenekneipe (selbstverständlich müssen wir Berlin als Ort der Handlung setzen, weil ein Publikum von solcher Größe, wie es unseres eines ist, ja lediglich auf breiteste Pinselstriche positiv resoniert). Saß der Adelheid nun also an der Theke, hörte sich, nachdem er sich den ganzen Tag in den Cafés der Stadt mit seiner Selbstständigkeit beschäftigt, genauer: Förderanträge für sein Kunstprojekt auszufüllen vermieden hatte, die Reden seines Wirtes an, ein strengcholerischer, doch guter Mensch, den niemand außer Adelheid verstand, sowohl im psychologischen wie auch im dialektalen Sinne. Jene Reden waren absolut konfus, und jedermann verlachte diesen Mann mit Namen Traugott Gerlinde. Dies jedoch, das wusste Adelheid Verstappen, war eine grobe Fehleinschätzung, welche nur darauf beruhte, dass die Menschen eine Sache nicht verstanden: Traugotts Reden waren wirr, sie waren falsch, das stimmte, allein, sie waren so grundlegend und fundamental falsch, so absonderlich unsinnig, dass man, multiplizierte man sie gewissermaßen mit -1, kehrte man also ihren Sinngehalt um, eine absolut stimmige, einfallsreiche Beschreibung der Welt erhielt. Um diesem Umstand wusste jedoch nur Adelheid, und alle anderen Bürger dieser breiten Stadt, die wir „Berlin“ getauft, sie lächelten nur müde, wenn sie über Traugott sprachen. Gewiss gaben sie sich freimütig und hielten ein paar der tiradenhaften Ausfälle Traugotts aus, und ja, sie stimmten vielem zu, doch dies war nur Berlin-Gehabe, Künstlerfreundlichkeit, denn man umgibt sich hier mit möglichst ein paar Irren, um sich selbst den Irrtum seines Aufenthalts nicht eingestehen zu müssen. Was ich eben anzumerken anhob, war, dass Adelheid nun also jene Aphorismen Traugotts auffing, einem Siebe gleich, sie schwenkte über dem Abfluss seines Geistes, trocknete im Krepptuch seiner Rationalität, und schließlich dann in einem Akt der Kühnheit umkehrte, um neues, reines Denkmaterial zu kriegen. Das Erleben einer durch Kultur- und Kunstnarrative präfigurierten Realität erscheint prosaischer, als es nach den Denkgesetzen erlaubt sein dürfte, sagte Traugott und nippte an ihrem durch Augenreiben feuchten und vermatzten Daumen. Was ich damit meine, ist, dass das schiere Sein und Wesen beim Erleben desselben in Schemata erwartet wird. Ich sitze mit meiner Affäre an einem Bettrand und trinke billigen Wein, wir nehmen ein bisschen Koks, und in einem Moment der Erkenntnis wird mir klar, dass dieses ganze Tun und Nicht-Tun doch nach allgemeiner Vorstellung ziemlich cool sein müsse. Vielleicht ist es nur, dass wir, anders als im Film, nicht von begeisterten Kinozuschauern beobachtet und damit benutzt werden als Teil ihres eigenen Identifikationsprozesses; vielleicht ist es auch etwas anderes, Tieferes. Aber ich sitze jedenfalls da mit diesem Gefühl, „something lacking“, etwas fehlt mir, ein Gefühl der Sinnhaftigkeit stellt sich nicht ein, das ein jedes Mitglied unserer Generation erwartet hätte. Und genau da setzt meine Novalislektüre ein, aus der sich auch die Antwort ergibt: Die Welt muss romantisiert werden! Was das heißt,“ ruft Traugott euphorisch, „kann in seiner Bedeutung nicht überschätzt werden: Es heißt, dass ich zur Lösung dieses Dilemmas nun meinerseits zum Stift greifen muss und diese Situation beschreiben, literarisch machen, sie zumindest erzählen. Damit bekommt sie ein semantisches Gewicht. Damit ist sie Teil einer Erzählung, und der Sinn stellt sich plötzlich ein. Fürwahr, es ist ein schaler Sinn, der kaum jemals so authentisch hätte werden können wie in meiner, unserer Erwartung. Doch seien wir ehrlich: War diese Authentizität der Popkultur jemals eine realistische Versprechung?“ Traugott lässt die Faust sinken und steigt vom Tisch herunter, den sie unterdessen bestiegen hatte. Er nähert sich mir behutsam und küsst mich auf die Wange. Ich flüstere ihr ins Ohr: „Nur eines siehst du noch nicht klar, dass nämlich dieser Akt der Sinngebung deinerseits viel mächtiger ist als die vorigen. Du, und nur du allein bist die gültige Adresse.“ Traugott lächelt und verlässt die Kneipe ohne zu zahlen. Ich, Adelheid Verstappen, schäme mich ein wenig meiner Unaufrichtigkeit, habe ich ihr doch ein bisschen Komödie gespielt. Habe ich ihr doch vorenthalten, dass ich wieder mein Spiel mit ihm getrieben habe. Denn wieder habe ich einen ihrer Gedanken genommen und aus ihm ein Destillat gepresst, welches letzten Endes ins dialektische Gegenteil umschlägt: Natürlich hat er recht mit der Romantisierung, natürlich kann man so den Sinn erst an den Schnürsenkeln aus dem Sumpfe oder gleich einer Flaschenpost aus dem Watt ziehen. Aber gerade die Benennung dieser Idee vor Publikum, ihr Zur-Sprache-Bringen neutralisiert sie zugleich wieder. Wir haben es also mit einer Unmöglichkeit zu tun: Traugott gibt sich der Lächerlichkeit preis, indem er sich zur Künstlerin stilisiert. Im gleichen Atemzug hat sie sein Kunstwerk wieder eingerissen. Weil der Sprechakt eine Gewalttat ist. Und obwohl es sich gleichsam mit eben dieser meiner Erkenntnis dieses Sachverhalts verhält, gebe ich doch keinen Fick darum, weil mir der Sinn fürs Sinnhafte fehlt.