Schau nur, wie schön das ist, wenn ein Satz beginnt, ja ein ganzer Absatz, sollte ich sagen: ein ganzes Buch? Es ist doch meist der zweite Satz, der wirklich etwas taugen muss, war immer meine Meinung. Ja, ich habe, als ich mich anschickte, schreiben zu lernen, zunächst die ersten Sätze aus vielen verschiedenen Büchern in der Bibliothek abgeschrieben, und dann, als ich bemerkte, dass ein erster Satz nicht alles ist, dass es entgegen der landläufigen Meinung nicht mal eine wirkliche Kunst ist, einen effektvollen ersten Satz zu schreiben, da habe ich auch noch alle zweiten Sätze abgeschrieben und mir klargemacht, dass dieser zweite Satz die eigentliche Kunst ist, weil er dem Bollwerk des ersten Satzes etwas entgegensetzen muss, das, kann er es nicht, zusammenfällt wie eine Hüpfburg, in welcher der Kompressor ausgefallen ist. Und dieser Erkenntnis folgte dann natürlich, was ich ironischerweise — wenn Sie mitgezählt haben — im nun vierten Satz reflektiere, dass es der dritte Satz ist, der den eigentlichen Beginn markiert, denn auch eine effektvolle Gegenüberstellung zweier Sätze gelingt so manchem, und erst das dritte, was dann folgt, eröffnet eine räumliche Welt. Ich gebe nun die Zählung auf, will nur noch kurz auf jenen vierten Satz zu sprechen kommen, der nun auch schon etwa [hundertelf] Zeichen zurückliegt: Ist an ihm nicht das Profane zu spüren, das man der Vier traditionell zugeschrieben hat? Wo die Drei noch das göttliche Zelt des Dreiecks aufspannte, da überführte das vierte Ding den ganzen Zug ins Weltliche. Wir sind nun angekommen in dem Text, wir sind inmitten einer Überlegung, deren Richtung nun vom Leser erspürt werden kann, und deren erste gedankliche Einheit erschöpft ist. Man könnte nun fraktal weiterdenken und davon ausgehen, dass ein erster Abschnitt in der nächstgrößeren Ordnungseinheit denselben Stellenwert hat wie ein erster Satz, und dass die nun folgenden Abschnitte ebenfalls funktionieren wie die Sätze im Kleinen. Und jeder darauffolgende Abschnitt, wie jeder Satz, wird durch seine bloße Existenz die Materie des Textes vergrößern und dadurch seine eigene Wichtigkeit und die der andern verringern. Nun, ganz stimmt das nicht, denn seine Wahl besteht ja in seiner jetzigen Position und der Nicht-Existenz, was auf gewisse Weise der nachgeordneten Position unterlegen ist. Aber dennoch lässt sich nicht vermeiden, dass die nachfolgenden Sätze, Abschnitte und ihre Fraktale eine Obertonreihe der Wichtigkeit hinaufklettern: Mit höherer Ordnungszahl schwindet ihre Lautstärke, wobei die Inbalance der Obertöne gerade den spezifischen Klang des Text-Instruments ausmacht. Spüren Sie es auch? Es ist nun Zeit, einen ersten Absatz abzuschließen, nicht? Der Text stirbt nun seinen „la petite mort“ und reproduziert auch in dieser Beziehung seine fraktale Anordnung.
Sie sehen, es ist passiert. Sie gewahren sicherlich auch, dass der Beginn eines neuen Absatzes etwas ganz anderes ist als der Beginn eines Buches. Vielleicht, weil uns jener symbolisch in Beziehung bringt mit der großen Frage unseres Ursprungs, vielleicht weil ein allererster Satz so viel Potenzial in sich trägt, nicht nur zum Guten, sondern auch die Möglichkeit der Enttäuschung der Erwartung, die wir an ihn herantragen. Der erste Satz des zweiten Absatzes trägt solche Bürde nicht mehr, trotzdem ihm ein gewisser Stolz nicht abzusprechen ist. Sie wissen ja, er trägt die Eigenschaft der Zwei (als zweitem Absatz) und gleichzeitig der Eins (als erstem Satz des Abschnitts). Lesen Sie ihn noch mal. Sehen Sie, wie stolz er daherkommt? Er wirkt ein wenig ungelenk, wenn man ihn noch mal liest. Er kann die Last seiner Aufgaben nicht verbergen. Er muss frisch sein und Sie am Weiterlesen interessieren. Machen Sie sich immer klar: In einer anderen möglichen Welt, welche für uns nicht interessant ist, weil in dieser dieser Satz in keinem Kopf mehr erklingt, haben Sie das Buch schon weggelegt. Sie haben sich dazu entschieden, nicht mehr weiterzulesen, warum auch immer. Höchstwahrscheinlich, weil schon…
Kommentare von stephan