Dieses Treatment sollte an die erfolgreichen Liebesfilme im Stil von „PS ich liebe dich“ anschließen, wurde aber aufgrund des dunklen Themas abgelehnt. Ich habe den Entwurf an M. Night Shyamalan geschickt, der mir riet, am Ende noch den Plottwist einzubauen, dass der Freund gar nicht wirklich tot ist, sondern seinen Tod nur virtuos vortäuscht, um seine Freundin loszuwerden, was ich ziemlich zynisch und postmodern fand. Nein, der Freund ist wirklich gestorben. T-O-T.

Mein Freund hat sich umgebracht. Das habe ich erst jetzt verstanden, zehn Jahre danach. Zehn Jahre schon quält er mich. Es war nicht seine Absicht, im Gegenteil. Er wollte, dass es mir gut geht. Er wollte, dass ich nie erfahre, dass er sich umgebracht hat. Er wollte, dass ich glaube, er sei zu einer großen Weltreise aufgebrochen und habe dort seine Bestimmung als Investmentbanker in Japan gefunden. Ich hasse Investmentbanker. Er wollte mir damit den Abschied erleichtern. Er hat alles bis ins Detail geplant. Eine Woche vor seinem Suizid ist er nach Japan in den Urlaub geflogen. Das hat übrigens auch nicht gestimmt, wie ich später rausgefunden habe. Aber jedenfalls hat er eine Firma engagiert, die für ihn zu bestimmten Daten Briefe verschickt. Der erste Brief hatte zum Inhalt, dass er länger in Tokyo bleiben müsse wegen der Arbeit und dass alles total stressig sei. Dann kam einer, in dem er mir gestand, dass er sich in eine Japanerin verliebt hatte. Zu diesem Zeitpunkt war er lange schon tot. Und ich starb vor Liebeskummer. Buchte einen Flug nach Tokyo. Natürlich fand ich ihn dort nicht. Niemand konnte mir helfen. Sein Arbeitgeber nicht, seine Familie nicht. Die bekamen auch Briefe. Alle mit der gleichen Geschichte. Er sei jetzt Investmentbanker, sei jetzt ein richtiges Arschloch. Wir sind alle Hippies und haben für sowas kein Verständnis. Natürlich machte mich das stutzig, denn er war ja auch Hippie gewesen. Aber seine Erklärung war natürlich besser als davon auszugehen, dass er eine Packung Propofol geschluckt hatte. Ich kann mich an keine depressiven Episoden oder so erinnern. Ich habe das natürlich alles zwanghaft reflektiert. Jede Erinnerung, jedes Detail umgewendet. Viel schlauer hat es mich nicht gemacht. Nur die eine Erkenntnis hatte ich, nämlich, dass er ein Mensch war, der sich obsessiv mit einer Idee berauschen kann. Vermutlich hat er sich einfach an der Idee berauscht, aus dem Leben zu verschwinden, ohne jemanden damit in Verzweiflung zu stürzen. Wie könnte man sich umbringen, ohne dass man seinen Verwandten und Freunden damit schadet? So war er. Das ist die plausibelste Erklärung. Naja, jedenfalls hörte ich irgendwann auf zu suchen, verliebte mich neu. Es kamen ja noch Briefe, in denen er sich erklärte, und zwar auf eine Weise, die es mir erlaubte, ihn zu hassen. Ich suchte die Schuld nicht bei mir. Erstaunlich, wie er das geschafft hat, denn das ist eine Eigenart von mir. Die Briefe wurden seltener. Und hätten wahrscheinlich ganz aufgehört, doch nach zehn Jahren kam ein Brief, der in absolutem Gegensatz zur Weltpolitik stand. So konnte nur jemand schreiben, der ein zehn Jahre altes Weltbild hatte. Manche Länder, von denen er sprach, gab es nicht mehr, manche berufliche Aufgaben, die er nannte, Technologien, existierten so nicht mehr. Und am deutlichsten merkte man es an der Sprache: Mir ist schlagartig aufgefallen, dass wir in einer Zeit leben, in der sich die Sprache so schnell wandelt wie noch nie in der Weltgeschichte. Er hat seine Spuren perfekt ausgelöscht. Der Absender dieser Briefe ist nicht ausfindig zu machen. Aber er macht mich ausfindig, egal, wie oft ich umziehe. Und so hat sich mein Schmerz vertausendfacht. Jeder neue Brief entfacht ihn von Neuem, nährt meine Spekulationen, zwingt mich, mich mit seinem Tod auseinanderzusetzen. Wenn ich doch wenigstens diesen Mittelsmann finden könnte und ihm sagen könnte, dass die Unternehmung misslungen ist. So kommt jedes Jahr ein neuer Brief und reißt mich in den Abgrund.