Zu wollen was man will führt in den Regress, aber wenn wir in einem computationalistischen Paradigma arbeiten, in dem es keine Unendlichkeit gibt, ist das wiederholte Einspeisen eines Willens in die Schleife gar nicht so mysteriös. Wir können also wollen, was wir wollen (mithilfe eines Willensaktes den Willensakt beeinflussen), auch wenn wir nicht ans Ende dieser Kausalkette kommen können. Und ja, dieses Eingreifen mittels eines abermaligen Wollens kommt aus der bereits festgelegten Kausalkette heraus. Aber durch diese Selbstreferentialität wird das System, wie System/Umwelt-Systeme, chaotisch und damit nicht vorhersehbar.
Freier Wille ist zunächst Handlungsfreiheit: Ich kann tun, was ich will. Diese humesche Freiheit ist aber nicht die einzige, denn sofort taucht die Frage auf: Kann ich denn auch wollen, was ich will?
Die Antwort ist natürlich: Ja. Ich kann beispielsweise mit dem Rauchen aufhören wollen, obwohl ich es noch nicht kann. Dann kann ich daran arbeiten und mithilfe dieser höheren Rationalität die Handlungsweisen, die meinem Reptiliengehirn entspringen, durch viel Übung überwinden. Einfach ist das nicht, aber möglich.
Warum nun aber beantworten Denker die Frage mit Nein? Das liegt am Infiniten Regress, denn um zu wollen, was man will, muss man ja wollen, muss man wollen, muss man wollen, was man will. Dieses Problem lässt sich aber mit einer computationalistischen Auffassung von Wahrheit lösen.
Erstens fällt auf, dass man sagt: Ich muss wollen, was ich will, was ich will, was ich will, was ich tue. Das heißt, am Ende steht das Tun, davor lauter Willensakte.
Wenn es nun nach diesem Weltbild keine Unendlichkeit gibt (oder besser gesagt keine Möglichkeit, diese nachzuweisen), sondern nur aufeinander folgende Regressionen, dann ist das Wollen, was man will, plötzlich kein Problem mehr. Es ist dann beispielsweise vorstellbar, dass ich will, was ich tun will, aber nicht will, was ich will, was ich tun will, weil meine Fähigkeit, mich hinauszubegeben auf die Meta-Reflexion, hier nicht weit genug gediehen ist. Konkreter: Ich kann vielleicht mit dem Rauchen aufhören wollen. Aber auf einer tieferen Ebene kann ich auch nicht wollen, mit dem Rauchen aufhören zu wollen, weil ich Gesundheitsfanatismus verabscheue. Und spinnen wir das Ganze ein bisschen weiter: Ich kann mich wieder über diese Reflexion selber stellen und sagen: Gleichwohl ich den Gesundheitsfanatismus verabscheue und also das Rauchen nicht aufhören wollen will, kann ich sagen: Dies ist ja nur eine Einstellung und meine Einstellung zu meinem Körper steht darüber. Ich kann also selbst gesund sein wollen und gleichzeitig nicht wollen, dass meine Ablehnung des Gesundheitsfanatismus mich umbringt.
Hier fällt natürlich auf, dass die einzelnen Meta-Ebenen nicht voneinander substanziell abgetrennt sind. Es sind nur komplexere Formen der Modellierung, die aber aufeinander prinzipiell zugreifen können. So wie der Staat als hochkomplexes System auf seine Bundesländer, aber auch auf seine Kommunen, auf seine Bürger oder gar einzelne Körperteile („mein Bauch gehört mir“) zugreifen kann. Systemtheoretisch gesagt: Er kann nicht wirklich darauf zugreifen, er kann das System als dessen Umwelt nur irritieren; aber dies reicht für unsere Zwecke.
Dadurch, dass wir die Existenz der Unendlichkeit nicht annehmen können/sollten, geht es wirklich um die einzelnen Entscheidungsprozesse, die in einem endlichen Universum mit endlicher Rechenpower (sagen wir reduktionistisch: Quantenprozesse) in gequantelter Zeit durchgeführt werden. Die Reflexionen sind also selbst nur Funktionen, die ausgeführt werden oder nicht.
Die Kritiker des Infiniten Regresses haben also recht, aber das macht nichts. Man kann letztendlich nicht den absoluten Urgrund seines Wollens bestimmen, denn der liegt außerhalb des eigenen Organismus; oder man könnte auch sagen: Absolute Urgründe sind in einem absoluten Paradigma ohnehin eine schwierige Angelegenheit. Der Satz: Man kann nicht wollen, was man will, ist allerdings falsch. Man kann sogar wollen, was man wollen will. Man kann nur eben nicht unendlich viele „Wollen“ aneinanderreihen.
Eine schöne Metapher hierfür ist die Obertonreihe eines Tons. Das, was der Ton ist, also dieses Gebilde aus mathematisch gedachter unendlicher Vielzahl der Obertöne, physikalischer Begrenztheit der Obertöne aufgrund der Begrenztheit des Hörvermögens und mentaler Repräsentation, welche die „untere Realität“ des Tones völlig ausmacht (Hegel: Das Subjekt ist ins Objekt hineingelegt), benötigt nicht den Zugriff auf eine absolute Unendlichkeit der Regressionen. Ein Mensch nimmt meist fünf bis zehn Obertöne wahr, unbewusst vielleicht mehr, durch Training kann man etwa zwanzig hören. Das ist nicht sonderlich viel. Aber es zeigt sich hier auch, dass es absolut nicht notwendig ist, alle Obertöne hören zu können. Interessanterweise würden wir analog zur Willensentscheidung sagen: Nur den Grundton zu hören (den Sinuston), würde absolut nicht ausreichen, um einen Klang zu charakterisieren. Hat man aber vier bis sieben Obertöne, sieht das schon anders aus. Analog dazu empfinden wir eine Entscheidung, bei der wir uns mehrmals gefragt haben: Was ist der Grund, dass ich dies will, und was ist der Grund dieses Grundes?, als ausreichend reflektiert nach ähnlich vielen Iterationen.
Kommentare von stephan